Sonntag, 21. Oktober 2007

Verliebte Dorfbewohner auf der Bühne

In der Staatsoper Unter den Linden in Berlin hob sich am 21. Oktober 2007 das letzte Mal der rote Vorhang für eine Vorstellung des Moskauer Bolschoi Balletts!
Die vier Gastspieltage des russischen weltbekannten Balletts sind wie im Fluge vergangen.
Nach zwei Schwanensee-Abenden, folgte an zwei Abenden eine deutsche Bühnenpremiere. Das erste Mal wurde in Deutschland das zweiaktige Ballett Der Helle Bach nach der Musik von Dmitri Schostakowitsch aufgeführt. Die Uraufführung gab es allerdings schon am 4. Juni 1935 im Maly-Theater in Leningrad. Das Libretto schrieben Adrian Piotrowski und Fjodor Lopuchow. Alexej Ratmanksi hat die Geschichte neu choreographiert und feierte die Premiere der Neufassung am 18. April 2003 im Bolschoi-Theater in Moskau.
Die amüsante Geschichte des Balletts spielt in einer nordkaukasischen Kolchose, in der zum Erntefest Künstler und Tänzer aus dem Theater der Hauptstadt angereist sind. Die hübschen Künstler verdrehen den Kolchosbewohnern den Kopf. Um jedoch das Gefühlswirrwarr der Bauern zu entwirren und die Gemüter zu beruhigen, hatten sich die Tänzer einen Streich mit den Kolchosbewohnern ausgedacht. Während Yan Godovsky, der einen der Hauptstadt-Tänzer darstellt und tanzt, sich als weibliche Sylphide verkleidet, erscheint die von Natalia Osipova gespielte Tänzerin als Mann. In dieser Verkleidung führen sie die verliebten Dorfbewohner an der Nase herum, um schlussendlich den Kolchosniken klar zu machen, dass sie nur Phantomen hinterherjagen. Zum Ende klärt sich die verwickelte Situation auf und die wiedervereinigten Dorfbewohner feiern zusammen mit den Künstlern das Erntefest.
Auch wenn die Geschichte des Balletts trivial ist, ist die Choreographie mehr als anspruchsvoll. Das rasante Musiktempo verlangt nach präzisen und unglaublich schnellen Bewegungen der Tänzer. Es gibt in dem ganzen Stück kaum eine Minute, in der die Tänzer still standen und sich nicht drehten, über die Bühne sprangen oder akrobatisch verrenkten. Und trotz dieser Hektik war jede Bewegung der Tänzer so genau, dass jede einzelne Bewegung als Pose hätte photographiert werden können. Die genaue Bein- und Armarbeit ist insbesondere bei den Solotänzerinnen Natalia Osipova, Yekaterina Krysanova und Anna Chesnokova sehr bemerkenswert gewesen. Besonders bei Natalia Osipova fielen die wunderschönen langen Beine und ihre Sprungkraft auf, die mit zusätzlichen Publikumsbeifällen honoriert wurden.
Die bewusst komischen und ungelenken und dennoch grazilen Tanzbewegungen des als Sylphide verkleideten Yan Godovsky, brachten die Zuschauer zum Lachen und Klatschen. Yan Godovsky in einem weissen romantischen Tutu mit Kranz auf dem Kopf und Spitzenschuhe an den Füssen gab eine hervorragende Sylphide ab. Die aus La Sylphide kopierten Schritte wurden von Godovsky umwerfend parodiert und ausgeführt. Das Publikum kam kaum aus dem Staunen heraus, da er hervorragend und sicher auf der Spitze tanzte.
Einen weiteren Lacher hatte auch die Datschenbewohnerin, die von Anastasia Vinokur gespielt wurde, immer auf ihrer Seite. Als kleine, korpulente und durchsetzungskräftige Frau gab sie einen komischen Kontrast zu dem langen, schlacksigen Ehemann ab, der die vermeintliche Sylphide anhimmelt und ihr hinterherrennt.
Die farbenprächtige Bühnendekoration und die bunten Kleider der Tänzer sind für den modernen Zuschauer vielleicht etwas ungewöhnlich. Besonders auf den westeuropäischen Bühnen versucht man immer mehr moderne Elemente in das Bühnebild einzubringen, sei es, dass Mobiltelefone irgendwo erscheinen oder die Kleidung der Tänzer modern ist. Dadurch soll wohl eine besondere Beziehung des Zuschauers zu dem Stück hergestellt werden und der Geschichte eine besondere psychologische Bedeutung zugemessen werden.
Mit solchen Elementen wird bei dem Stück "Der helle Bach" nicht gearbeitet, sondern man setzt eher auf eine bunte Retrowelle. Dem Publikum soll in zeitlich realistischen Kostümen und Kulissen suggeriert werden, was für ein schönes Leben die Kolchosbewohner der dreissiger Jahre hatten.
Interessanterweise wurde gerade diese Art der Darstellung des Kolchoslebens in einem Artikel der am 6. Februar 1936 erschienenen Prawda kritisiert. Die Autoren hätten das Thema lediglich in ein Spiel mit Puppen verkehrt, wie es traditionellen Balletten entspreche: als "ein zuckriges Bauernspiel aus einer vorrevolutionären Schokoladenschachtel" (Programmheft des Bolschoi Balletts und Orchester, Gastspiel 18.-21. Oktober 2007 Staatsoper Unter den Linden, S. 38).
Zuckrig hin oder her.... solange man die kurzweilige Geschichte nicht für bare Münze nimmt und keine Lehrstunde des Bauernlebens erwartet, kann man sich zwei Stunden lang herrlich amüsieren und die grandiose tänzerische Leistung aller Bolschoi-Tänzer bewundern.
Bravo.

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