Donnerstag, 31. Juli 2008

Der Krimi um die Berliner Onkel Toms Hütte

Berlin im Sommer 1945. Kriegsende.
Die Menschen versuchen wieder zu einem zivilisierten Leben zurückzukehren.
Rund um den U-Bahnhof Onkel Toms Hütte, welcher von dem Quartiermeister der US Army eingezäunt wurde und für die deutschen Fahrgäste nur beschränkt zugänglich ist, werden vier attraktive blonde junge Frauen auf die gleiche grausame Art ermordet. Und alle vier arbeiten für die amerikanischen Allierten. Hat das was zu bedeuten? Lässt dies einen Rückschluss auf den Täter zu?
Während der deutsche Inspektor Klaus Dietrich und sein amerikanischer Kollege John Ashburner verbissen nach dem Täter suchen, wird das Leben der vier Opfer vor, während und nach dem 2. Weltkrieg geschildert. Obwohl das Leben der UfA-Schauspielerin Karin Rembach alias Verena van Bergen, der Psychiatriekrankenschwester Helga Rinke, der aus dem Wedding stammenden Prostituierten Marlene Kaschke und der jungen Adligen Henriette von Aichborn in grundverschiedenen Bahnen verläuft, verbinden die vier Frauen zufällige und bedeutungslose Begegnungen.
Der Krimi von dem 1930 geborenen Autor Pierre Frei, der selber im Viertel um den Berliner U-Bahnhof "Onkel Toms Hütte" aufgewachsen ist, ist nicht nur unerwartet spannend, sondern bringt einem auch die Zehlendorfer Nachkriegszeit authentisch nahe. Besonders für diejenigen, die in dieser Gegend rund um den Bahnhof Onkel Toms Hütte und seinen Strassen bis zur Krumme Lanke aufgewachsen sind, ist das Buch überaus empfehlenswert. Der Wiederkennungswert der Gegend mit einem Zeitsprung von 60 Jahren, aber mit ganz anderen Bewohnern, als die, die dort jetzt leben, ist ganz erheblich. Das Buch sollte daher jeder Zehlendorfer und Berliner gelesen haben, insbesondere wenn man mit der Ladenstrasse im Bahnhof Onkel Toms Hütte vertraut ist.
Schade nur, dass das Buch im Buchladen meist nur in der Ecke liegt, wo die Berlin-Reiseführer die Touristen anstarren und die Berliner einen grossen Bogen um diesen Teil des Ladens machen. Es wäre daher wünschenswert, wenn eingefleischte Berliner manchmal in ihrer eigenen Stadt selber Touristen wären. Dann würde man seine Heimat viel besser und bewusster kennenlernen! Und das nicht nur durch Eintauchen in eine literarische Welt.

Pierre Frei
Onkel Toms Hütte, Berlin
Karl Blessing Verlag GmbH
2003 München

Mittwoch, 23. Juli 2008

Babylon & Sebastiano in the City

Es gibt Ausstellungen, die schweben an einem - trotz überdimensionalem Titel, der in der ganzen Stadt plakativ verbreitet wird - vorbei.
Und manche Ausstellungen werden derart laut vermarktet, dass sich das Ereignis ins Gedächtnis einbrennt, noch bevor man die Museumsräume betreten hat.
Weshalb das so ist, wird wohl ein kleines Geheimnis bleiben, weil Werbung für beide Ausstellungen intensivst betrieben wird.

Babylon - Mythos und Wahrheit

Zur letzteren Kategorie gehört - dank umfassender erfolgreicher Marketingstrategie - die Babylon-Ausstellung im Pergamonmuseum, die schon in Paris Ruhm eingefahren hat und nun in Berlin in pinken und blauen Tönen um Aufmerksamkeit buhlt.
Und das zurecht.
Sowohl der Ausstellungsteil Babylon - Wahrheit (mit seinen Ausgrabungsstücken), als auch der Teil Babylon - Mythos (mit phantastischen Bildern, Installationen, Büchern, Filmen zum Mythos Babylon) sind ein sommerliches Highlight in Berlin. Und das nicht nur, weil in den Räumen des Pergamonmuseums sich die Wüstenluft heiss und stickig staut. Wenn man mal von dieser kleinen Unannehmlichkeit absieht, bekommt man einen maximalen Kunstgenuss - soweit man sich für Archäologie und Kultur Babylons interessiert. Allein, weshalb Babylon zum Schluss tatsächlich untergehen musste, bleibt wohl für immer ein Rätsel.
Der Besucher kann sich darauf einstellen, dass er im Untergeschoss des rechten Flügels des Pergamonbaus neben dem auch sonst dort beheimateten Ischtar-Tor und der Prozessionsstrasse auch in etwa 800 archäologisch einzigartige Objekte zu dem Königtum, der Architektur, Religion, Recht, Arbeitswelt, Alltag, Wissenschaft und Transformation von Babylon Einblick erhält.
Da diese Ausstellung eine Kooperation zwischen den Staatlichen Museen zu Berlin, dem Musée du Louvre, der Réunion des Musées Nationaux in Paris und des British Museum in London ist, stammen die ausgestellten Objekte aus allen vier Museen. Durch diesen Zusammenschluss bekommt der Laie einen umfassenden Überblick über die Geschichte Babylons, das im heutigen Irak lag.
Im Obergeschoss des linken Museumsflügels taucht der Besucher in die mythologische Welt rund um Babylon ein.
Dabei wird sowohl das Klischee um die Sünde und das Böse Babels auf mehr als 1500 qm durch unzählige Objekte, sei es durch Gemälde, Bücher, Videoinstallationen, Handschriften oder auch mittels zeitgenössischer Kunst, vor Augen geführt. Von dem grausamen Nebukadnezar, dem babylonischen System, der Stadt der Sünde, Semiramis, dem Turm zu Babel, der Apokalypse bis zur biblischen Sprachverwirrung werden die hochstilisierten und mythologischen Andichtungen mit der Stadt Babylon künstlerisch verbunden. Dabei wird auch auf so aktuelle Geschehen wie den letzten Irak-Krieg artefaktisch Bezug genommen.
The exhibition ist ein perfekter babylonischer und künstlerischer "Rundumschlag", der sowohl für die Berliner als auch seine Gäste ein absolutes Muss in diesem Sommer darstellt.
Für besonders babylonisch Interessierte bietet das Pergamonmuseum verschiedene Führungen, Lesungen und Konzerte - auch special Workshops für Kinder - bis zum 5. Oktober 2008 an.


Babylon - Mythos und Wahrheit
Pergamonmuseum, Museumsinsel Berlin
Bodestraße 1-3
10178 Berlin
26.6.2008 bis 5.10.2008


SEBASTIANO

Zu der ersteren der vorab genannten Ausstellungskategorien gehört die Sebastiano-Ausstellung in der Gemäldegalerie am Kulturforum. Ein Ort, der leider immer wieder vernachlässigt wird, obwohl er zentral am Potsdamer Platz gelegen ist und eine bedeutende Sammlung alter Meister beherbergt.
Die aktuelle Ausstellung wird zwar mit grossen Buchstaben SEBASTIANO an jeder U- und S-Bahnwerbewand angepriesen, aber so richtig ins Bewusstsein der Berliner ist sie noch nicht gedrungen. Vielleicht liegt es daran, dass nur die wenigsten - im Gegensatz zu dem Wort Babylon - etwas mit dem Titel anfangen können. Aber auch der gesamte Name der Ausstellung Raffaels Grazie - Michelangelos Furor. Sebastiano del Piombo (Venedig 1485 - Rom 1547) hilft einem nur begrenzt weiter, wenn man sich mit der italienischen Kunstgeschichte nicht auskennt.
Dies ist wohl auch den Ausstellungsmachern bewusst gewesen. Denn in der Einleitung des Begleithefts zur Ausstellung gibt man zu, dass der allgemeine Bekanntheitsgrad des Künstlers Sebastiano del Piombo sich in Grenzen hält. Und das trotz der Qualität seiner Werke und obwohl er zu Lebzeiten schon eine Berühmtheit war. Immerhin war er der stärkste Konkurrent Raffaels und arbeitete in Rom zum Teil sehr eng mit Michelangelo zusammen. So eng, dass sie sich gegenseitig Skizzen zuschusterten.
Schon das sollte genügen, ihn in die posthume Ehrenriege von Raffael, Michelangelo oder Tizian zu heben.
In der aktuellen Ausstellung werden die Werke des Malers Sebastiano del Piombos in seine Schaffenszeit in Venedig und Rom aufgeteilt, wobei Sebastiano seine venzianischen Einflüsse auch in seinen in Rom gemalten Bildern nicht verbergen wollte.
Auffällig sind in Sebastianos Bildern die für die Zeit ungemein realistische Darstellung von Personen, seien es nun Heilige, Päpste, Krieger, Humanisten oder Bankiers. In jedem Bild wird der besondere Charakter der Person sowohl durch Mimik als auch durch Gestik hervorgehoben. Aber auch das Verwenden von leuchtenden Farben stechen bei Sebastianos Bildern besonders ins Auge. Bei dem Bildnis einer jungen Römerin (Dorothea) fallen der Pelzbesatz und das Rot ihres Mantels, bei dem Bild Kluge Jungfrau das prächtige Blau ihres Kleides und beim Bild Heilige Familie mit zwei Engeln in einer Landschaft das rot, blau und gelb der Kleider der dargestellten Personen und Engeln besonders auf.
Auch das Bild Das Urteil des Salomon ist von grossem Interesse, schon weil es nie vollendet wurde. Gerade deshalb kann man aber Sebastianos Maltechnik nachvollziehen und stellt verwundert fest, dass er den Henker des zu teilenden Kindes nackt wie eine griechische Statue in Aktion zeichnete. Athletisch und muskelbepackt dominiert der Henker das unfertige Bild.
Auch sonst ist in Sebastianos Bildern bemerkenswert, dass er für seine Zeit sehr progressiv war und auch nicht scheute, versteckt sexuelle Komponenten einzubringen.
Aber die sollte man besser vor Ort beim Besuch der Ausstellung bis zum 28. September 2008 für sich entdecken.


Raffaels Grazie - Michelangelos Furor. Sebastiano del Piombo (Venedig 1485 - Rom 1547)
Gemäldegalerie Kulturforum
Stauffenbergstraße 40
10785 Berlin
28.6.2008 bis 28.9.2008

Sonntag, 20. Juli 2008

Weinrallye # 14 Weine zum Grillabend

Die Weinrallye # 13 ist vorbei und die Weinrallye # 14 ist pünktlich und rechtzeitig ausgerufen worden.
Für den 12. August 2008 erwartet Susanne Melles vom Sanoviablog viele, viele Blog-Artikel.
Zu welchem Thema?
Obwohl sich der Sommer in letzter Zeit nicht von seiner strahlendsten Seite gezeigt hat, darf die Hoffnung auf einen milden sommerlichen Abend nicht aufgegeben werden. Denn ein Grillabend wird sicherlich dieses Jahr noch 'drin sein.
Hierfür sollte man sich daher mental präparieren und den passenden Wein mit einem entsprechenden Salat präsentieren, verkosten und samt Geschichte beschreiben. Sanoviablog wird sich darüber freuen und die Leser werden hiervon profitieren.
Wer die Teilnahmeregeln der Weinrallye noch nicht kennt, kann sich beim Winzerblog kundig machen.
Und dann geht's auch schon los!

Samstag, 19. Juli 2008

Pasternak in Berlin

Man erwartet es und ist doch gleichzeitig erstaunt, wenn man in Berlin ein russisches Restaurant aufsucht und dann dort tatsächlich bodenständige russische Küche serviert wird.
Neben der in Berlin lebenden türkischen Bevölkerung ist wohl die russischsprachige Gemeinschaft die im Stadtbild Präsenteste in Berlin. So wäre es eigentlich das Natürlichste der Welt, wenn hier auch die russischen Restaurants wie Pilze im milden regnerischen Berliner Wetter aus dem Boden spriessen würden. Aber falsch gedacht. In Zeiten der Globalisierung essen auch Russen immer lieber international erhältliche Fusionfood.
Und dennoch. Manchmal kann man auch in Berlin Glück haben und findet ein unprätentiöses Lokal, in dem die Bedienung unkompliziert charmant ist und die Küche an Großmutters beste Kochkünste erinnert.
In dem Eckrestaurant Pasternak kann man sich sowohl morgens, mittags als auch abends durch die umfangreiche Speisekarte durchessen. Vom leckeren Frühstück über die wechselnde Mittagskarte bis zu georgischem Schaschlik, russische Pelmeni oder Wareniki, unzählige Salate, oder Pilzsuppe, Bortschtsch oder Schtschi, Scharkoje in der Terrine, Blini mit oder ohne Kaviar, süss oder salzig erfreut das Herz des sehnsüchtig nach russischer Hausmannskost lechzenden Gastes. Sogar die einfachen Kartoffeln - mit Petersilie gewürzt - schmecken wie in Russland.
Nur eins sollte man hier nicht erwarten: leichte und kalorienarme Kost. Damit sollen sich ruhig die übrigen unzähligen Restaurants in Berlin herumschlagen.
За здоровье! - Za zdorov'e!

Pasternak
Knaackstr. 22/24
10405 Berlin

Weinrallye # 13 Weniger Bordeaux ist manchmal mehr Bordeaux

Unter dem Motto "weniger ist manchmal mehr!" veröffentlichte heute Mario Scheuermann in seinem Planet Bordeaux die Zusammenfassung der 13. Weinrallye.
Thema war diesmal Bordeaux blends outside Bordeaux. Insgesamt wurden überaus positiv 11 Weine aus fünf Ländern besprochen, wobei die meisten aus Südafrika und Australien stammten.
Der post dieses blogs ist dabei überaus positiv bewertet worden und steht bei Mario Scheuermann in der Pool-Position Nr. 1.
Herzlichsten Dank für die Blumen!

Fashion week im Corner und die Jagd bei Spesshardt's & Klein's

Die Welt rückt zusammen.
Insbesondere, wenn gerade in Berlin die Fashion week 2008 in vollem Gange ist und andere Happenings wie Galerieopenings das Strassenbild beleben.
Dann trifft man bei einem Cocktail im The Corner Berlin in Kooperation mit der VOGUE zu Ehren von Phillip Lim von einer blendend aussehenden Iris Berben über eine glitzernde Eva Padberg bis hin zu Susan Atwell die gesamte A-B-C- und eventuell auch eine Doppel D Prominenz. Mit der zahlreich vertretenen Presse, der neuen Kollektion von Phillip Lim und sexy Schuhen von Louboutin auf Tuchfühlung, macht man den Modezirkus mit Vergnügen mit, begutachtet die lebendige Fashionwelt und begeistert sich mit den internationalen Fachleuten für die neuesten Modetrends.

The Corner Berlin
Französische Str. 40
10117 Berlin


Genauso lebhaft, aber weniger presseintensiv widmete sich die Galerie Spesshardt & Klein der Jagd und dem Kugelfang.
Von einer VIP-Jagd ist hier aber weniger die Rede. Eher zeigt die Gruppenausstellung, die von Peter Lang kuratiert ist und Werke von insgesamt von 17 Künstlern zeigt, Impressionen zum Thema Jagd und Schusswaffen. Dabei werden vom röhrenden Hirschen auf Emaille von Moritz Götze bis zum Pistolenlauf der Walther I von Roland Boden oder der Detektor-Videoinstallation von Christine de la Garenne und die Kohlezeichnung von Christiane Klatt oder die Übung mit dem Nachsichtgerät von Via Lewandowsky die verschiedensten Jagdassoziationen gezeigt. Sozusagen zur Einstimmung auf die kommende Jagdsaison.
Dabei wird die Brutalität von Waffen, aber auch der vorhandene Unterhaltungswert von Schussspielen in Freizeitparks ("Battleships" von Christine de la Garenne) gnadenlos und ungeschönt vor Augen geführt.
Noch bis zum 30. August 2008 in der Galerie Spesshardt& Klein zu sehen.
Garantiert schussfrei.

Spesshardt & Klein
Jagd und Kugelfang
Rudi-Dutschke-Str. 18
10969 Berlin

Freitag, 18. Juli 2008

Die alltägliche Physik des Unglücks

Das Buch Die alltägliche Physik des Unglücks der US-Amerikanerin Marisha Pessl ist ihr Debütroman und befand sich letztes Jahr lange sowohl auf den deutschen als auch den amerikanischen Bestsellerlisten. Wer etwas in der schreibenden Zunft zu sagen hatte, konnte sich nicht der Aufgabe entziehen das Buch entweder über Maßen zu loben oder es mit einem vernichtenden Blick und Urteil zu zerreissen.
Das junge und überaus intelligente Teenager-Mädchen Blue van Meer zieht mit ihrem sie alleinerziehenden Vater alle paar Monate von einem Ort zum anderen. Dr. Gareth van Meer, der Politikwissenschaftler und ungemein gut aussehend ist, nimmt an allen möglichen Universitäten Gastlehrtätigkeiten auf. Seit dem Tod der Mutter hält es aber beide nie an einem Ort.
Der permanente Druck sich irgendwo neu einzuleben, schweisst Vater und Tochter zusammen, wobei er Blue auf den gemeinsamen Reisewegen das Maximum an Bildung zukommen lässt. Dies hat die Folge, dass Blue all ihren Altersgenossen um ein Erhebliches Voraus ist ... was sie jedoch nie störte. Bis sie in ihrem letzten Schuljahr durch ihre Lehrerin Hannah Schneider in eine typisch amerikanische Snob-Clique gerät und dort all den Blödsinn mitmacht, dem man sich als Teenager kaum entziehen kann: Parties, Verliebtheiten, Klauen, in Schulräume nachts eindringen, in Bars gehen und am besten alles machen, was verboten ist. Und dennoch bleibt Blue realistisch und wach und lässt sich nicht durch diese Oberflächlichkeiten beirren und gerät in eine immer phantastisch werdende Geschichte, die zum Schluss ihr persönliches Leben in ihren Grundfesten erschüttern wird.
Sicherlich ist der Umfang des Buches mit fast 600 Seiten für den einen oder anderen etwas zu erdrückend. Und die anfänglich etwas nervende Art Zitate mit entsprechenden Quellenangaben und selbstgemalten Bildchen in den Text einzubauen, irritiert und wirkt hohl und besserwisserisch. Mit der Zeit entpuppt sich dieser Stil aber bald zu einer Lehrstunde in Literatur und Film, der einen begeistert in den Sog zieht.
Der Grossteil der zitierten Bücher wird auch dem Belesensten wohl nicht bekannt sein. Da stellt sich manchmal die Frage, ob diese Bücher tatsächlich existieren oder nur ausgedacht sind.
Unabhänging davon ist es ein wunderbares Buch, welches nicht nur an heranwachsende Teenager gerichtet ist, sondern auch die erwachsene Frau mit Spannung an der Leine hält (ein Buch für "Jungs" ist es wohl eher nicht, aber das ist Ansichtssache). Nur wach sollte man bei diesem Buch in jedem Fall bleiben, da unerwartete Gedankensprünge sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehen und von der schnellen, schlagfertigen Intelligenz der attraktiven Autorin zeugen.
Und das Ende des Buches wird jeden überraschen, der anfänglich vermutete, dass es sich um ein Klein-Teenager-Roman handelt. Denn mit DIESEM Ende hätte man nach den ersten gelesenen Seiten in keinem Fall gerechnet.


Marisha Pessl
Die alltägliche Physik des Unglücks
Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel
Special Topics in Calamity Physics
2006, Viking Penguin, USA
2007, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Dienstag, 15. Juli 2008

Weinrallye #13 Bordeaux Blends Outside Bordeaux

Mario Scheuermann vom Planet Bordeaux sucht auf dem 13. Stop der Weinrallye weltweit nach Kopien des originalen Bordeauxblends.
Nein, nein! Nicht um die Hersteller bei den ehrenwerten Appellationen anzuzeigen, sondern um zu sehen, wie gut die Blends in anderen Teilen der Welt sind! Und das beste ist, sie sind legal und zum Teil auch günstiger als die Originale. Jedenfalls meine beiden vorzustellenden Weine.
Zwei Weine, ähnlich und doch grundverschieden. Neue Welt und doch zwei Welten. Perfekt anschmiegsam und dennoch zum Essen servierend unterschiedlich passend.
Das sind in simplen Worten die Unterschiede zwischen zwei ausgesuchten Bordeaux-"Plagiaten", die nicht aus dem Bordeaux kommen und dennoch mindestens drei der typischen Bordeauxrebsorten Cabernet Sauvignon, Cabernet franc, Merlot, Petit Verdot und Malbec beinhalten und im Barrique ausgebaut worden sind.

I. Die Weine

1. Australien
Langhorne Creek South Australia
Bremerton
Tamblyn
(Cabernet Sauvignon 50%, Shiraz 38%, Malbec 7%, Merlot 5%)
2005, 14,5 % vol.
19 Monate Ausbau in französischem und amerikanischen Barrique

Dieser Wein wurde von dem australischen Weingut Bremerton produziert, welches seit 1985 im Familienbetrieb Weine herstellt.
Neben dem vorliegenden Tamblyn werden noch 16 andere Weine produziert, darunter auch Sekt und Rosé, aber auch Old Adam Shiraz, Reserve Cabernet, B.O.V. Cabernet Shiraz, Selkirk Shiraz, Verdelho, Sauvignon Blanc, Fortified Shiraz, etc.
Das erste Mal gab es den Tamblyn mit 2003er Trauben. Der 2006er Jahrgang ist ebenfalls schon auf dem Markt.
Der vorliegende 2005er ist in jedem Fall schon ausgereift. Verschlossen ist er mit einem normalen Korken.
Von der Farbe ist er mehr schwarzrot bis violett.
In der Nase dominieren beerige und dunkle Aromen. Die erste Assoziation führt die Sinne in eine grosse Schale von reifen Brombeeren und Blaubeeren.
Am Gaumen setzt sich dann das beerige Aroma fort und wird noch ergänzt durch Aromen von Holz, Vanille und pfeffrigen Kräutern. Der Wein umspielt die Zunge sanft und rund, wobei er kaum adstringierend ist.
Der Abgang ist lang und intensiv, wobei weitere Sinnesüberraschungen allerdings ausbleiben. Tragisch ist das allerdings überhaupt nicht.


2. Südafrika
Stellenbosch
Muratie wine estate
Ansela Van de Caab
(Merlot 65%, Cabernet Sauvignon 30%, Cabernet Franc 5%)
2005, 14,71 % vol.
16 Monate Ausbau im französischen Barrique

Das südafrikanische Weingut Muratie ist laut der Firmeninternetpräsenz fast so alt wie das Land Südafrika. 1685 wurde es von dem deutschen Soldaten Lourens Campher gekauft. Er und seine angolanische Sklavin Ansela, die später freigelassen wurde, waren ein Paar das gerade in heutiger Zeit das schwarz-weisse Südafrika treffend repräsentiert. Mit Ansela zusammen hatte Campher drei Kinder. Seit 1987 gehört das Gut Ronnie Melck, dessen Vorfahren von Campher dieses schon einmal erworben hatten.
Zu Ehren der Gründerin wurde der vorliegende Blend Ansela genannt. Der 2002er Jahrgang wurde von John Platter mit stolzen exzellenten vier von fünf Punkten bewertet. Der 2005er dürfte da definitiv nicht schlechter stehen.
Von der Farbe ist er seinem australischen Kollegen zum Verwechseln ähnlich: genauso schwarzrot mit einem Violettstich.
In der Nase ist er dann in der Assoziation heller und erinnert zwar auch extrem stark an Beeren, diesmal aber mehr an Himbeeren.
Am Gaumen ist der erste Schluck nicht ganz so rund und um einiges tanninreicher und dicht gewebt.
Der Abgang ist dann zwar auch langanhaltend, aber ansonsten unspektakulär.


II. Die Speisen

Es ist immer wieder erstaunlich wie sich das Aroma des Weines verändert, wenn zum Schluck Wein noch Essen hinzukommt.
Auch wenn beide Weine vom Charakter her nicht unähnlich waren, so ergänzten sie sich unterschiedlich gut zu den vorbereiteten Speisen.


1. Straußensteak an Rooibos mit Kartöffelchen und frittierten süssen Basilikumbutterkügelchen
Wenn es etwas auf dem südlichen afrikanischen Fleckchen Erde gibt, was phantastisch schmeckt, dann ist es Fleisch in jeglichen Variationen, ob nun vom Kudu, Oryx, Springbok, Strauss oder Rind. Die ersteren Game-Sorten sind schwerlich in Deutschland aufzutreiben. Alleine Fleisch vom Springbok wird in Berlin im Kadewe wohl nur im Herbst verkauft. Fleisch vom Strauss bekommt man zwar mittlerweile das ganze Jahr über auch von brandenburgischen oder polnischen Farmen, aber so gut wie in Südafrika schmeckt das Fleisch leider nicht. Daher nimmt man dankbar - wenngleich mit schlechtem Gewissen ob des verwerflichen CO2-Ausstosses - das Straussensteak, welches einen weiten Weg - zwar nicht aus Südafrika, sondern aus Australien zurückgelegt hat- entgegen.

a. australischer Bremerton
Der Australier harmoniert absolut perfekt mit dem heimatlichen Straussenfleisch. Das saftige Fleisch, welches aufgrund der Rooibos-Würze ein rauchiges Aroma hat, lässt die beerigen Aromen des Weins am Gaumen himmelhochjauchzend jubilieren. Auch die holzigen Töne des Weines kommen verstärkt sehr angenehm zur Geltung. Rundherum ein elegantes und sanftes Paar, das sich nicht die Show stiehlt.

b. südafrikanischer Muratie
Der Südafrikaner ergänzt sich zum Fleisch und den Basilikumbutterkügelchen nicht unbedingt optimal. Das Aroma des asiatischen süssen Basilikums, welches einen Anisgeschmack hat und des Knoblauchs, der in der frittierten Butter enthalten ist, verstärken sich unangenehm zusammen mit dem Schluck Ansela. Das beerige Aroma des Weins flacht dabei leider aber ab. Ein Paar das nicht harmonisch ist, sondern sich selber immer übertrumpfen möchte. Die beiden sollte man daher trennen und in Ruhe lassen.


2. In Serranoschinken gewickelte Pflaumen
Einen einfacheren Appetizer oder Häppchen für Zwischendurch gibt es wohl kaum. Dörrpflaume nehmen, in Schinken wickeln und ab in den Ofen für kurze Zeit. Heraus kommt ein knuspriger Schinken, der mit seiner salzigen Kruste optimal mit der Süsse der Plaume harmoniert.


a. australischer Bremerton
Die eingewickelte Pflaume und der australische Blend ergänzen sich nicht wie erwartet. Eine perfekte Symbiose entsteht nicht. Die Aromen des Weins werden zu stark unterdrückt und das alkoholische Aroma kommt zu stark zur Geltung. Auch die fruchtige Pflaume verschwindet fast und zurück bleibt nur der salzige Geschmack des Schinkens. Eine unglückliche Verwicklung.

b. südafrikanischer Muratie
Das Doppel Pflaume/Wein kann hier schon mehr Punkte erzielen. Die Säure/Frucht/Alkohol-Balance ist am Gaumen um einiges ausgewogener. Die Plaumenfrucht ist verstärkt am Gaumen bemerkbar. Und dennoch ein kleiner südafrikanischer Wermutstropfen: Auch bei diesem Wein wird der Alkohol zusammen mit der Pflaume sensorisch verstärkt. Also ebenfalls kein empfehlenswertes Pärchen.


3. Gigot d'Agneau Persillé
Eigentlich ist die gebackene Lammkeule in Petersilie-Kräuter-Kruste ein französisches Gericht. Aber da es wohl im Bordeaux gegessen wird, kann es ja auch zu Bordeauxwein-Kopien passen.
a. australischer Bremerton
Schon der erste gemeinsame Ausflug des Lamms und des Tropfens Wein in Richtung Gaumen sind ein Versprechen, welches eingehalten wird. Sowohl die Holz-, als auch die Beerennoten kommen voll zum Tragen, ohne dass das arme "Bio-Lamm" darunter zu leiden hat. Optimal ist der Wein rund und unterstützt in angnehmer und eleganter Weise die Kräuterwürzung des Lamms mit den Rosmarinkartöffelchen und den gelben gedünsteten Zucchini. Ahhh...wunderbar!

b. südafrikanischer Muratie
Und schon kommt die Überraschung. Auch der Südafrikaner ist ein hervorragendes Pendant zum Lamm. Nein, sogar eine viel bessere Kombination! Das Paar ist insgesamt viel runder und weicher und hinzu kommen noch unerwartete karamellige Noten des Weins zum Tragen. TOP-Verbindung!!!! Biokräuterlamm bevorzugt den südafrikanischen Tropfen.


4. Burger mit Straussenfleisch, Salat, Ochsenherz-Tomaten und spanischem Baldarankäse aus Kuh- und Schafsmilch
Gerade erst letztens geisterte durch die Presse die Geschichte über die Luxus-Burger, die in New York und London für horrendes Geld verkauft werden. Neben ausgesuchtem Fleisch, wird der Burger noch mit Trüffel und Safran garniert/gewürzt.
Was in New York und London gemacht werden kann, wird wohl auch in der heimischen Küche möglich sein.
Der Burger, belegt mit medium gebratenem Straussensteak, Rucolasalt, Eisbergsalat, Ochsenherztomaten und Baldarankäse ist ein Gericht, das seine Konkurrenten in der Luxusküchenwelt nicht scheuen muss. Ok, Trüffel und Safran wurden nicht verwendet. Fahrlässigerweise wurde beides vergessen. Punkt- und Preisabzug.
Aber dafür ist
das Fleisch unglaublich aromatisch und wird so nicht durch Trüffel- oder Safranaromen überdeckt. Punkt wird wieder hinzugefügt.
Der milde Baldarankäse, der fein gehobelt über dem Fleisch zerschmilzt, ergänzt sich hervorragend und gibt so dem Bürger eine herbe Würze. Grandios.
a. australischer Bremerton
Auch wenn das Fleisch aus Australien stammt, kann sich der Wein nicht mit dem Luxus-Fastfood-Essen anfreunden. Ein unangenehmes Marzipanaroma sticht beim Wein hervor und überschatte so das Aroma des Burgers. Schlicht und ergreifend: der Wein ist sich zu fein und will nicht mit dem Burger genossen werden.

b. südafrikanischer Muratie
Der Südafrikaner ist um einige williger. Die Kombination zwischen Straussen-Burger und Ansela gefällt und hinterlässt am Gaumen einen harmonischen Nachhall. Sehr lecker. Keine unangenehmen Töne, nur leckeres Aroma, sowohl beim Wein als auch beim Burger und gemeinsam.


5. Burger aus gehacktem Rindfleisch, Salat, Ochsenherz-Tomate und spanischem Baldarankäse
Ob die einfachere Variante des Burgers mit gehacktem Rindfleisch ebenso gut oder schlecht zu den Weinen passt?

a. australischer Bremerton
Da der Wein schon zum Luxusburger nicht passte, ist es nicht gerade erstaunlich, dass die Kombination Rinder-Burger und Wein auch nicht die Beste ist. Am besten gleich wieder vergessen.

b. südafrikanischer Muratie
Aber auch der südafrikanische Wein wollte diesmal nicht gern die Kombination mit dem Burger eingehen. Insgesamt unterdrückt er die Frucht des Weins, so dass dieser nur fade den Gaumen benetzt. Das nächste Mal wird zum Burger einfach eine spritzige und eiskalte Coke getrunken.


III. Result
Das Ergebnis erstaunt.
Denn, obwohl beide Weine von unterschiedlichen Kontinenten stammen, und obwohl beide Weine nicht mal dieselben Rebsorten beinhalten, sind sie vom Aroma her sehr ähnlich. Feine Unterschiede sind allerdings in der parallelen Verkostung erkennbar.
Am stärksten treten allerdings die Unterschiede beim Essen hervor. Am kombinationsfreudigsten war der südafrikanische Ansela, der zwar nicht richtig mit den in Schinken gewickelten Plaumen, dem Rinderburger und dem Straussensteak mit Knoblauch- und Basilikumbutter kombiniert werden wollte, aber trotzdem noch zu allen Gerichten irgendwie erträglich war. Vielleicht sollte man demnächst beim Straussensteak einfach die Knoblauch-Basilikum-Mischung vermeiden.
Der australische Tamblyn ergänzte sich nur mit dem Lamm und dem Straussensteak an Rooibos. Mit beiden Gerichten dafür aber unschlagbar gut.
Diese Verkostung zeigt einmal wieder, wie schwer es ist, Wein und Essen optimal zu verbinden. Daher, Hut ab! vor den Sommeliers der Welt, die tagtäglich die richtige Entscheidung treffen müssen, welcher Wein zu welchem Essen passt.
Ein wenig anders gewürzt und schon passt der Wein nicht zum Essen.
Egal, ob es sich nun um einen Luxus-Burger oder eine deftige Lammkeule handelt und ob der Wein aus dem Bordeaux stammt oder aus einem anderen Teil dieser Erde.

Mittwoch, 9. Juli 2008

Wunderbare Törtchenwelt oder Albrechts Pâtisserie

Wer in Westberlin teuer und exklusiv einkaufen wollte, ging früher in die Fasanenstrasse - den Teil zwischen Kurfürstendamm und der Lietzenburger Straße, der wunderbar grün und von alten Mietshäusern mit schönen Fassaden gesäumt ist. Alteingesessene Galerien und Anwaltskanzleien koexistierten harmonisch neben den Topmodemarken wie Gucci, Chanel, Bulgari, etc.
Diese Zeiten sind mittlerweile vorbei. Nachdem diese wunderbare kleine und ruhige Einbahnstrasse sich längere Zeit mit Leerstand quälen musste, weil alle grosse Namen entweder an den Kurfürstendamm oder in die Friedrichstraße gezogen sind, regeneriert sich der kränkelnde Zustand allmählich.
Die Anwaltskanzleien und Galerien sind geblieben. Hinzugekommen sind noch mehr Galerien. Die Bäume blühen noch grüner und die Ladengeschäfte füllen sich allmählich wieder. Und dazwischen gibt es ein paar Restaurants und Cafés. Das bekannteste ist hier das Café im Literaturhaus, in dem man auch meist wunderbar Lunchen kann.
Allerdings sollte man, wenn man lieber auf Törtchen, Petit four und andere sündhaft leckere Kleinigkeiten steht, ein paar Schritte weitergehen und sich in Albrechts Pâtisserie in bequemen Korbstühlen niederlassen. Hier wird man mit französischen Köstlichkeiten der jungen Konditormeisterin Stephanie Albrecht verwöhnt.
In einer angenehm rot-weissen Einrichtung blicken einen Millefeuille, Tartes mit allen möglichen Früchten, Törtchen, Éclairs, Tatin's, Petit Fours, Croissants, Gebäck, Trüffel und Muffins strahlend an und ermuntern einen mindestens einmal zuzugreifen. Mit einem Buch bewaffnet oder in angenehmer Gesellschaft bequem sitzend, kann man - hin und wieder aufblickend -
das Leben auf der Fasanenstraße beobachten und dabei die Köstlichkeiten verschlingen. Im Sommer kühlt auch ein Eis von der Eistheke die Gemüter ab und beruhigt das eine oder andere quengelnde Kind.
Und wenn man dann immer noch nicht genug von den Törtchen hat, kann man sich auch was für zu Hause mitnehmen. Ab 18 Uhr gibt es dann wohl einen besonderen Mitnehm-Rabatt, in der Art "Zahl-Eins-Nimm-Zwei".
Belohnt wird aber auch derjenige, der fleissig Kaffee in der
Pâtisserie trinkt. Nach dem achten Kaffee erhält man laut der charmanten Dame hinter den Tresen ein Törtchen umsonst. Jedenfalls dann, wenn man Albrechts Pâtisserie Treuekarte treu abstempeln lässt.
Übrigens, die ursprüngliche
Pâtisserie nebst Café der Madame Albrecht ist immer noch im Ostteil der Stadt in der Rykestraße gelegen. Und wer sich eher in Schöneberg als im Prenzlauer Berg oder Charlottenburg bewegt, muss auch nicht auf die Törtchen verzichten. Ein Besuch der Filiale in der Winterfeldtstrasse und die Törtchenwelt ist wieder in Ordnung.

Albrechts Pâtisserie
Fasanenstr. 29
10719 Berlin

Albrechts
Pâtisserie
Rykestr. 39
10405 Berlin

Albrechts Pâtisserie
Winterfeldtstr. 45
10781 Berlin

Mittwoch, 2. Juli 2008

Adamsberg' Pariser blaue Kreise

Jean-Baptiste Adamsberg ist ein schrulliger und seltsamer Polizist, der sich weniger durch herkömmliche Intelligenz, denn durch unübertreffliche Intuition auszeichnet. Er ist gleichzeitig auch die Hauptfigur einer Krimireihe der französischen Krimiautorin Fred Vargas, die durch ihre skurrilen Pariskrimis bekannt geworden ist.
Der erste Krimi der Adamsberg-Reihe ist Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord.
In dieser Geschichte kommt Adamsberg von Basses-Pyrénées nach Paris und wird dort Kommissar im 5. Arrondissement. Zusammen mit seinem Kollegen und Inspektor Danglard registriert er besorgt, dass über einen langen Zeitraum hinweg nachts auf den Strassen von Paris von jemandem blaue Kreise gezeichnet werden, die einen mehr oder weniger banalen Gegenstand umfassen. Die Meisten lachen Adamsberg wegen seine Befürchtung und sich bewahrheitenden Ahnung, dass es sich hierbei um einen gefährlichen Täter handelt, aus.
Wie auch in diesem Krimi, sind Kommissare selten eine Gestalt, die von Anfang an sympathisch erscheinen. Sie werden meist nicht als umwerfend attraktiv beschrieben, haben eigenartige Verhaltensweisen und unterscheiden sich sonst in fast nichts von der Allgemeinheit, ausser durch eine gewisse Intuition, Erfahrung und Hartnäckigkeit.
Vargas treibt es aber auf die Spitze.
Adamsberg wird gleich von Anfang als körperlich unattraktiv beschrieben: "Körper eines Waldkindes", der primitiv und hässlich erscheint. Und genauso unkommunikativ und eigenbrödlerisch ist Adamsberg auch. Auch wenn er sich über weiblichen Zuspruch nicht beklagen kann.
Dass zu dem Krimi noch die seltsame Meeresforscherin Mathilde, die in ihrer Freizeit Menschen folgt, um sich so ein Bild von ihnen zu machen, der garstige Tierforscher Charles Reyer, der beim Sezieren einer Löwin erblindete und die verrückte liebestolle Clémence Valmont mit Spitzmauszähnen hinzukommen, setzt dem Krimi die Krone auf. Alles skurrile Gestalten, mit denen man im Zweifel nicht befreundet sein möchte.
Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord ist insoweit kein platter Krimi, der Klischees bedient. Der Leser wird immer wieder verwundert, teils gespannt, teils auch angewidert eine Seite nach der anderen umblättern und lesen.
Und schlussendlich ist wie bei jedem guten Krimi dann derjenige der Mörder, von dem man es am wenigsten erwartet hat. Wenigstens in dieser Hinsicht werden Klischees wieder bedient.


Fred Vargas
Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord
Titel der Originalausgabe: L'homme aux cercles bleus
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel
1996 Éditions Viviane Hamy
1999 Aufbau Taschenbuch Verlag

Dienstag, 1. Juli 2008

Alles ist erleuchtet

Die Welt eines ukrainischen Shtetls der letzten 300 Jahre ist fremd. Genauso fremd wie der Schreibstil von Jonathan Safran Foer in seinem Buch Alles ist erleuchtet.
Am liebsten würde man das Buch nach den ersten Seiten zuklappen, in die Tonne schmeissen und den Deckel darüber legen. So genervt ist man von der wirren und "gebrochenen" Sprache von Alex. Alex arbeitet als Dolmetscher für Englisch - Russisch/Ukrainisch bei dem Familienunternehmen Heritage Touring. Und er schreibt seinem "Helden" Jonathan Briefe in die USA. Er hatte Jonathan bei seiner Suche nach der Retterin seines Grossvaters geholfen und ist dabei auf seine eigene Familiengeschichte gestossen.
In mehreren Erzählsträngen und in unterschiedlichem Erzählstil verflechtet sich die Geschichte von dem wurzelsuchenden Jonathan, dem Dolmetscher Alex, Alex' Grossvater und Jonathans jüdischen Vorfahren. Bis zum Schluss "erleuchtet" sich einem nicht, was an dieser zum Teil grausamen Geschichte, die von Liebe, Sex, Dislokation, NS-Grausamkeiten und -Exekutionen, jiddischem und ukrainischem Leben, Sehnsucht, Traurigkeit und Verschwiegenheit handelt, wahr oder erfunden ist.
Und vielleicht weil man gerade von den grausamen Vernichtungsaktionen der NS weiß und diese aus der Erzählsicht der Betroffenen noch realistischer und grausamer erscheinen, ist das Buch ein grossartiges Werk. Erst mit jeder mehr gelesenen Seite eröffnet sich dem Leser die Faszination der wahren/unwahren Geschichte. Und man ist zufrieden, dass man sich durchgerungen hat, das Buch zu Ende gelesen zu haben - trotz der anfänglichen leserischen Widrigkeiten. Denn genauso, wie Jonathans Vorfahren sich an das Leben am Wasser gewöhnt und das Rauschen des Wassers nicht mehr gehört haben, so gewöhnt man sich auch an diesen besonderen Schreibstil.

Jonathan Safran Foer
Alles ist erleuchtet
Titel der Originalausgabe: Everything Is Illuminated
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
2003 Kiepenheuer & Witsch, Köln