Montag, 27. August 2007

Geschichten um die Zarenkinder

Ich werde es nie vergessen wie meine Grossmutter erzählte, dass sie die Kinder der Zarenfamilie hinter einem Zaun gesehen habe.
Verstanden, was dahinter steckt, habe ich es damals nicht. Ich war ja selber zu dem Zeitpunkt noch nicht mal so alt, um in die Schule zu gehen. Je mehr ich mich jedoch mit der Erzählung beschäftige, desto besser verstehe ich sie.
Meine Grossmutter kam als Kleinkind mit ihren Eltern am Vorabend der Revolution von 1918 nach Ekaterinburg. Ein wenig später wurde auch die gesamte Familie um den Zaren Nikolai II. nach Ekaterinburg deportiert. Ekaterinburg, welches 1723 gegründet wurde, war zu dem Zeitpunkt schon kein Dorf, dennoch hatte sich die Ankunft der Zarenfamilie und deren Unterbringung im Haus des Ingenieurs Ipatjew schnell in der Stadt herumgesprochen. Meine neugierige Grossmutter schlich sich an das Haus des Ipatjew, das mitten im Stadtzentrum lag, und lugte durch den löchrigen Bretterzaun. Und tatsächlich, sie sah die Zarenkinder im Garten spielen!
Als meine Grossmutter von der Erschiessung der Zarenfamilie in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1919 hörte, musste sie so erschüttert gewesen sein, dass sie ihr Leben lang dieses Ereignis nicht vergessen konnte. Sie hatte die Kinder doch noch spielen sehen! Und dann sollten sie tot sein? Warum? Verstanden hat sie das wohl ihr Leben lang nicht. Das kann man auch nicht verstehen.
Das Haus des Ipatjew wurde 1977 abgerissen. 2003 wurde die Blutskirche, zur Erinnerung an die unschuldig Ermordeten an gleicher Stelle errichtet und eröffnet.
Erst langsam kommen die ganzen Umstände der Ermordung der Zarenfamilie zu Tage. Die Überreste der im Haus des Ipatjew ermordeten 11 Personen wurden nach letzten Erkenntnissen auf einen Laster geworfen und in nördliche Richtung aus der Stadt gebracht. In der Nähe des Dorfes Koptyaki wurden die Leichen in eine Grube gelegt, die zugeschüttet wurde. Der Gouverneur der Gegend gab dann den Befehl, dass man die Leichen vernichten müsse, damit eine Identifizierung nicht mehr möglich sei. Dafür hat man die Leichen mit Spiritus übergossen und verbrannt. Damit auch später jegliche Zweifel zerstreut werden können, hat man die Leichen zusätzlich an verschiedene Orte verbracht. Zwei verbrannte Leichen blieben jedoch in dieser Grube.
Genau diese Leichen wurden von einem archäologischen Team im Juli diesen Jahres gefunden. Es handelt sich nach bisherigen Untersuchungen um die Kinder, die meine Grossmutter gesehen hat: den Zarewitsch Aleksej und seine Schwester die Grossfürstin Maria. Viel ist nicht von ihnen übrig geblieben, aber hoffentlich werden nach abgeschlossenen Untersuchungen auch diese Gebeine endlich 90 Jahre zu spät mit den Überresten der Romanov - Familie in Sankt Petersburg wieder vereinigt und beigesetzt.

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