Montag, 3. März 2008

Zille's Fotos und Sarah Wieners Bagel

Da soll mal einer sagen, daß die Berliner Kunstbanausen sind!
Der wird definitiv eines besseren gelehrt, wenn er sonntags in die Akademie der Künste geht, um sich die Zille-Ausstellung "Kinder der Straße" anzusehen. Fast eine Stunde musste man sich in einer Menschenschlange gedulden, bis man endlich Eintritt in die vier grossen Ausstellungsräume gewährt bekommen hatte.
Das Warten hatte sich jedoch gelohnt, denn die Ausstellung zum 150. Geburtstag Zilles wartete nicht nur mit den bekannten frechen, erotischen und pornographischen Kohlezeichnungen des einberlinerten Zilles auf, sondern zeigte auch unzählige Fotografien, die entweder Zilles Familie zeigten oder auch das Berlin der Arbeiter und der armen Bevölkerung vor etwa hundert Jahren. Besonders beeindruckend waren die Fotos aus der Umgebung des Mietshauses in der Sophie-Charlotten-Str. 88 in Charlottenburg, in dem Zille mit seiner Familie gewohnt hatte. Was früher das Ende Berlins mit riesigen nahegelegenen Müllflächen und Feldern war, ist heute die Stadtautobahn und das nahegelegene Messegelände mit ICC. Unglaublich wie sich eine Stadt verändern kann!
Der Höhepunkt der Ausstellung ist allerdings die Filmvorführung des Films Mutter Krausens Fahrt ins Glück, der aus dem Jahr 1929 stammt, Zilles Todesjahr. Der Film ist nach Erzählungen von Heinrich Zille geschrieben und von der Prometheus-Film GmbH gedreht worden. Ein unglaublicher Film, der obwohl - oder gerade weil? - er ein Stummfilm ist, die Emotionen und die traurige Geschichte der Mutter Krause (gespielt von Alexandra Schmitt) so glaubwürdig transportiert, daß man bei jeder mimischen Regung von Mutter Krause immer mehr mit ihr mitfühlt und ihr am liebsten helfen möchte....zum Schluss so intensiv, dass man innerlich aufschreit und sie von ihrem letzten grossen Schritt in ihr Glück abhalten möchte.
Wenn man in die Ausstellung geht, sollte man sich daher unbedingt viel Zeit mitnehmen und sich diesen Film anschauen, da dieser 121 min. lang ist. Wer weiss, wann man ihn wieder zu Gesicht bekommt?!

Heinrich Zille

Kinder der Straße
11.1.2008 - 24.3.2008
Akademie der Künste
Pariser Platz 4
10117 Berlin


Derart emotional mitgenommen, geht man dann aus der Ausstellung hinaus und muss sich erst wieder in das Jahr 2008 hineinfinden.
Ein Besuch des Sarah Wiener Cafés in der Akademie der Künste soll einen daher wieder auf den Boden der Tatsachen stellen. Leider erfolgt dies jedoch nicht in ganz befriedigendem Maße. Ob des immensen Gästeansturms bei der Ausstellung sind die drei Damen hinter den grossen Tresen ein wenig überfordert. Wurde etwa nicht damit gerechnet, dass sich einer von zehn Ausstellungsbesuchern bei Sarah Wiener zur Nachmittagszeit stärken möchte?
Etwas unkoordiniert versuchte man den Gästen gerecht zu werden, in dem alle, alles gemacht haben. Es ist auch sehr charmant, dass die Belegung eines Lachsbagels mit frischen Zutaten genau vor den Augen der Kunden erfolgte. Allerdings ist es schon seltsam, wenn parallel zur Belegung des Bagels das Rezept genau studiert wird. Immerhin ist das Café ja nicht erst seit gestern auf.
Aber was soll's.
Der Bagel schmeckte so, wie er schmecken soll.
Die Bedienung war trotz der Behäbigkeit sehr charmant und nett und Zeit hatte man ja am Wochenende eh.

Sarah Wiener
in der Akademie der Künste
Pariser Platz 4
10117 Berlin

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