Freitag, 18. Juli 2008

Die alltägliche Physik des Unglücks

Das Buch Die alltägliche Physik des Unglücks der US-Amerikanerin Marisha Pessl ist ihr Debütroman und befand sich letztes Jahr lange sowohl auf den deutschen als auch den amerikanischen Bestsellerlisten. Wer etwas in der schreibenden Zunft zu sagen hatte, konnte sich nicht der Aufgabe entziehen das Buch entweder über Maßen zu loben oder es mit einem vernichtenden Blick und Urteil zu zerreissen.
Das junge und überaus intelligente Teenager-Mädchen Blue van Meer zieht mit ihrem sie alleinerziehenden Vater alle paar Monate von einem Ort zum anderen. Dr. Gareth van Meer, der Politikwissenschaftler und ungemein gut aussehend ist, nimmt an allen möglichen Universitäten Gastlehrtätigkeiten auf. Seit dem Tod der Mutter hält es aber beide nie an einem Ort.
Der permanente Druck sich irgendwo neu einzuleben, schweisst Vater und Tochter zusammen, wobei er Blue auf den gemeinsamen Reisewegen das Maximum an Bildung zukommen lässt. Dies hat die Folge, dass Blue all ihren Altersgenossen um ein Erhebliches Voraus ist ... was sie jedoch nie störte. Bis sie in ihrem letzten Schuljahr durch ihre Lehrerin Hannah Schneider in eine typisch amerikanische Snob-Clique gerät und dort all den Blödsinn mitmacht, dem man sich als Teenager kaum entziehen kann: Parties, Verliebtheiten, Klauen, in Schulräume nachts eindringen, in Bars gehen und am besten alles machen, was verboten ist. Und dennoch bleibt Blue realistisch und wach und lässt sich nicht durch diese Oberflächlichkeiten beirren und gerät in eine immer phantastisch werdende Geschichte, die zum Schluss ihr persönliches Leben in ihren Grundfesten erschüttern wird.
Sicherlich ist der Umfang des Buches mit fast 600 Seiten für den einen oder anderen etwas zu erdrückend. Und die anfänglich etwas nervende Art Zitate mit entsprechenden Quellenangaben und selbstgemalten Bildchen in den Text einzubauen, irritiert und wirkt hohl und besserwisserisch. Mit der Zeit entpuppt sich dieser Stil aber bald zu einer Lehrstunde in Literatur und Film, der einen begeistert in den Sog zieht.
Der Grossteil der zitierten Bücher wird auch dem Belesensten wohl nicht bekannt sein. Da stellt sich manchmal die Frage, ob diese Bücher tatsächlich existieren oder nur ausgedacht sind.
Unabhänging davon ist es ein wunderbares Buch, welches nicht nur an heranwachsende Teenager gerichtet ist, sondern auch die erwachsene Frau mit Spannung an der Leine hält (ein Buch für "Jungs" ist es wohl eher nicht, aber das ist Ansichtssache). Nur wach sollte man bei diesem Buch in jedem Fall bleiben, da unerwartete Gedankensprünge sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehen und von der schnellen, schlagfertigen Intelligenz der attraktiven Autorin zeugen.
Und das Ende des Buches wird jeden überraschen, der anfänglich vermutete, dass es sich um ein Klein-Teenager-Roman handelt. Denn mit DIESEM Ende hätte man nach den ersten gelesenen Seiten in keinem Fall gerechnet.


Marisha Pessl
Die alltägliche Physik des Unglücks
Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel
Special Topics in Calamity Physics
2006, Viking Penguin, USA
2007, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Klingt ein wenig wie das Prinzip der in einen Entwicklungsroman verpackten Philosophiegeschichte Sophies Welt von Gaadener, das vor ca. 17 Jahren erschien:-) - wenn ich nächsten Monat nach D komme, werde ich mir diese Unglücksphysik ja dann vielleicht als Rückreiselektüre besorgen können...danke für den Tip.

Swetlana hat gesagt…

Vergleichen würde ich die beiden Bücher auf keinen Fall. Insbesondere weil Pessl's Buch dem Leser nicht die Literaturgeschichte näher bringen will. Aber es ist einfach wunderbar geschrieben und als Reiselektüre allemal unterhaltsam! ;-)