Dienstag, 1. Juli 2008

Alles ist erleuchtet

Die Welt eines ukrainischen Shtetls der letzten 300 Jahre ist fremd. Genauso fremd wie der Schreibstil von Jonathan Safran Foer in seinem Buch Alles ist erleuchtet.
Am liebsten würde man das Buch nach den ersten Seiten zuklappen, in die Tonne schmeissen und den Deckel darüber legen. So genervt ist man von der wirren und "gebrochenen" Sprache von Alex. Alex arbeitet als Dolmetscher für Englisch - Russisch/Ukrainisch bei dem Familienunternehmen Heritage Touring. Und er schreibt seinem "Helden" Jonathan Briefe in die USA. Er hatte Jonathan bei seiner Suche nach der Retterin seines Grossvaters geholfen und ist dabei auf seine eigene Familiengeschichte gestossen.
In mehreren Erzählsträngen und in unterschiedlichem Erzählstil verflechtet sich die Geschichte von dem wurzelsuchenden Jonathan, dem Dolmetscher Alex, Alex' Grossvater und Jonathans jüdischen Vorfahren. Bis zum Schluss "erleuchtet" sich einem nicht, was an dieser zum Teil grausamen Geschichte, die von Liebe, Sex, Dislokation, NS-Grausamkeiten und -Exekutionen, jiddischem und ukrainischem Leben, Sehnsucht, Traurigkeit und Verschwiegenheit handelt, wahr oder erfunden ist.
Und vielleicht weil man gerade von den grausamen Vernichtungsaktionen der NS weiß und diese aus der Erzählsicht der Betroffenen noch realistischer und grausamer erscheinen, ist das Buch ein grossartiges Werk. Erst mit jeder mehr gelesenen Seite eröffnet sich dem Leser die Faszination der wahren/unwahren Geschichte. Und man ist zufrieden, dass man sich durchgerungen hat, das Buch zu Ende gelesen zu haben - trotz der anfänglichen leserischen Widrigkeiten. Denn genauso, wie Jonathans Vorfahren sich an das Leben am Wasser gewöhnt und das Rauschen des Wassers nicht mehr gehört haben, so gewöhnt man sich auch an diesen besonderen Schreibstil.

Jonathan Safran Foer
Alles ist erleuchtet
Titel der Originalausgabe: Everything Is Illuminated
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
2003 Kiepenheuer & Witsch, Köln

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