Mittwoch, 5. November 2008

Berliner Kunstherbst: Hunde, Schädel und Britney Spears

Kunstherbst, Freitag abend und der Wahnsinn ist vorprogrammiert.
Trotz - oder eventuell auch wegen - der Finanzkrise lassen sich die Menschen nicht davon abschrecken und strömen wie eh und je in die Galerien. Fleissig werden Kauflisten geführt und Sekt oder Wein getrunken.

I. Upstairs berlin
Die Galerie ging mit der Guasch-Preisträgerin des Jahres 2008 Marisa Favretto an den Start. Die aus Alaska stammende Künstlerin überraschte mit 17 animalischen Bildern, die alle mal mehr oder weniger wilde Tiere zum Thema haben. Mal einzeln, mal in Rudeln tummeln sich Katzen, Hunde, Wölfe, Hasen, wobei ein stiller, friedlicher Moment eingefangen wird.
Dann schaute man sich das nächste Bild an und dachte "Ach, das ist doch das Gleiche wie zuvor!". Und dann schaute man noch einmal genauer hin und dachte "Nee....der eine Hund schaut doch woanders hin und das Licht ist heller, und....." Und plötzlich erkannte man, wie unterschiedlich die Bilder waren, abhängig davon, aus welchem Blickwinkel sie gemalt worden sind und wie das Bild farblich erstrahlte. Die Tiere verloren dabei mit jedem weiteren Hinschauen ihre animalischen Züge. Menschliche und vertraute Wesenszüge erschienen in dem Verhalten und dem Blick der Tiere.
Am liebsten würde man sich unter die Tiere begeben und selber ein Teil dieser friedlichen Gesellschaft sein.

Marisa Favretto

"mood shift"

1.11.2008 - 20.12.2008
upstairs berlin
Zimmerstr. 90/91
10117 Berlin


II. Klosterfelde
Die sich im Hinterhof befindenden Galerieräume zeigten ganz andere wilde Szenen, nämlich Bilder einer vermeintlichen Britney Spears. Allerdings war wohl die Künstlerin Vibeke Tandberg weniger als Fan, denn als provozierende Seelenforscherin aktiv. Tandberg posierte selber als Spears oder fügte Gesichter eines jungen Mannes oder einer alten Frau hinzu und verzerrte ihre Äusserlichkeiten so weit, bis das wahre - zumeist hässliche - Innere der einstigen Popgröße zum Vorschein kam. Keine unangenehme persönliche Situation wurde dabei ausgelassen, um die die innere Zerrissenheit dieser tragischen Gestalt künstlerisch zu gestalten. Sie ging sogar soweit, dass der photographische Moment festgehalten und auf einer Wandtapete als riesige Show-Girls-Chorus-Line projeziert wird, als Britney Spears verzweifelt und verweint aus dem Gericht ging. Sie hatte ihren Sorgerechtsstreit verloren.
Und ausnahmsweise ist es keine nachgestellte Fotografie. Es ist eine Blossstellung einer Person, die die Aufmerksamkeit sucht und gleichzeitig vor ihr flieht. Tausendfach vervielfältigt.
Erschreckende Paparazzo-Collagen.

Vibeke Tandberg
"A piece of me"
31.10.2008 - 19.12.2008
Klosterfelde
Zimmerstr. 90/91
10117 Berlin


III. Galerie Michael Werner
Sigmar Polkes "Linsenbilder" zogen handverlesene Gäste an. Neugierig betrachtete man in mehr oder weniger grossen Grüppchen die Bilder, lachte, trank und schaute neugierig um sich herum, ob man nicht den einen oder anderen Bekannten sah. Zwischen den Beinen lief ein kleiner exquisiter Hund herum. Dekadent, aber schön. Mindestens genauso interessant wie die Gäste waren allerdings auch Polkes Bilder. Die Collagen des 1941 geborenen Polke leuchteten farbenprächtig in ihrem postmodernen Realismus. Wie durch eine Linse schauend, leuchteten verzerrt märchenhafte und phantasievolle Szenarien und Geschichten aus der Vergangenheit. Fast wie durch ein Okular mit Blick auf eine Schaustellergesellschaft aus dem 19. Jahrhundert.
Im wahrsten Sinne des Worte handelte es sich daher um Linsenbilder, die sich je nach Standpunkt und Blickwinkel des Betrachters aufgrund der welligen Oberflächenstruktur verändern.
Quasi eine optische Täuschung. Mit Hilfe der Kunst.

Sigmar Polke
Linsenbilder
1.11.2008 - 20.12.2008

Galerie Michael Werner
at Julius Werner Berlin
"Kochstr. 60"
Rudi-Dutschke-Str. 26
10969 Berlin


IV. Galerie Michael Janssen
Die Ähnlichkeit mit Damien Hirst's Totenschädel ist unübersehbar. Allerdings wird der ausgestellte mit Spiegelsteinchen übersähte Schädel von Christoph Steinmeyer wohl keine 75 Mio. € wert sein.
Es ist ein anderer Schädel.
Er dreht sich still und leise. Er verbindet Todessehnsucht und Todesrealität mit der Sinneslust und Extase einer Disko-Ära, in der man auch körperlich bis zum Exzess ging.
Sich drehend symbolisiert der Schädel eine Diskokugel, die Lichtreflexe in den Raum werfend immer wieder zum Ausgangspunkt zurückkommt. Wie ein nie endender Kreislauf. Back to the roots. Aus dem Nichts ist die Menschheit gekommen und dorthin geht sie auch wieder. Mit oder auch ohne Glamour.

Christoph Steinmeyer

Disco Inferno, 2008
Galerie Michael Janssen
Rudi-Dutschke-Str. 26
10969 Berlin

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